Die IBA wird bald Geschichte sein. Was bleibt, sind ihre Erben. Eine Reflexion der Internationalen Bauausstellung (IBA) Fürst-Pücklerland.
„Die IBA Fürst-Pückler-Land bricht ihre Zelte ab und hinterlässt wenig Gebautes aber hohe Erwartungen“. Begreift man die IBA als Großversuch einer Experimentalregion, wird sich ihr Erfolg daran bemessen, wie nachhaltig ihre Projekte wirken. Und ob ihre Experimente Werkzeuge an die Hand geben, wie nach der Kohle all das möglich wird, was der Bergbau gegeben hat: Arbeit und Brot, kulturelles Selbstverständnis, Identität? Gewaltig sind diese Fragen. Seltsam undramatisch nimmt sich dazu die Landschaft aus, die an den Seitenfenstern vorüber fliegt.
Wir fahren durch ein plattes Land, das unspektakulärer nicht sein könnte. Kiefern, Birken, Dörfer aus Klinkerhäusern. Um von Zeit zu Zeit jäh herausgerissen zu werden durch Anblicke, die kolossaler nicht sein könnten. Wie die „Biotürme“ von Lauchhammer, die wie gemauerte Rätsel aus dem Nichts auftauchen. Wie die F60, ein liegender Gigant, der über dem Wald aufragt. Wir halten auf Lichterfeld zu. Eine Ausschilderung erübrigt sich. Die Besucherbrücke ist weithin sichtbar.
„Groß“, sagt eine Hamburgerin, die vor uns die Stiegen der Brücke erklimmt. Mit „groß“ meint sie die Aussicht,
und sie hat Recht. Was aus der Ameisenperspektive flach und einförmig wirkt, gewinnt plötzlich Raum. Der Klettwitzer See glitzert unter uns, am Horizont drehen sich Windräder, eine Brise kühlt unsere Nasen. „Von hier oben sieht unsere Landschaft schöner aus“, scherzt die Gästeführerin mit dem blauen Helm.
Groß ist die Brücke und groß ist die Leistung, die die F60 möglich machte. Am Anfang stand eine stillgelegte Förderbrücke und die Idee von ein paar Visionären: einer Landschaftsarchitektin, ein paar Ansässigen und der Gemeindevertretung Lichterfeld, Schacksdorf. Die Idee war, aus dem gigantischen Bergbaugerät ein begehbares Denkmal zu machen. Ohne jegliche Erfahrung brachten sie ein erfolgreiches Projekt auf den Weg. Unterstützt durch die IBA und den Mut zum Unmöglichen. „Am Anfang hat man mich nur mitleidig angeschaut“, erzählt Michael Nadebor, früherer Bergmann und heutiger Geschäftsführer des Fördervereins. „Das ist eine Maschine“, hätten morgens am Spind seine Kumpels gesagt. „Eine großartige Maschine. Aber wer sollte wegen einer Maschine in die Lausitz reisen?“
Heute sprechen die Zahlen für sich: Rund 80.000 Besucher lockt die F60 pro Jahr nach Lichterfeld. Elf reguläre Arbeitsstellen bietet sie, dazu kommen Gästeführer, ein kleiner Gaststättenbetrieb und alles, was für die Organisation der Veranstaltungen mobilisiert und umgesetzt wird. Die F60 ist nicht mehr wegzudenken, bestätigen auch Gastwirte und Tankwarte am Weg, als wir weiterfahren.
Unser Weg führt uns nach Plessa. Zum Erlebniskraftwerk leiten braune Hinweisschilder.
Das Werk-Tor steht weit offen. Die Industrieschönheit dahinter beeindruckt durch Gegensätze. So sauber renoviert die Front des Gebäudes ist, so blind sind die Scheiben des Kesselhauses daneben. So traurig bröckeln zwei Kühltürme. Das Gelände ist weitläufig. Geschäftsführer und Kraftwerksvater Hajo Schubert empfängt. Er erzählt, wie er schon lange vor IBA-Zeiten mit 400 ABM-Stellen einen halben Urwald rodeten, der die Hallen umwuchert hatte und eigenhändig Lackfarbe von den Wänden kratzten. Die heute so sorgsam, denkmalgerecht und schön renoviert sind, dass man es kaum glaubt.
Sie sind nie fertig geworden. Mit Veranstaltungen, die sie in den schon renovierten Hallen ausrichten, nehmen sie jährlich so viel ein, dass es die Energiekosten für das ganze Gebäude deckt. Schubert rechnet vor, dass er gewerbliche Mieter bräuchte, um kostendeckend zu wirtschaften – und was man noch sanieren müsste, um diese Mieter zu finden. Es klingt niederschmetternd. Aber Schubert spricht von Ideen. Und raucht dabei viel. Er denkt an Windräder. Einen Solar- und Windpark stellt er sich vor – einen „authentischen Ort“, an dem man alte wie neue Energiegewinnung erleben kann. Einstweilen aber ist es im Kraftwerk noch still.
Das Wort „Energie“ bleibt noch im Hinterkopf, als wir längst weiterfahren. So viel Schubkraft und so viel Stillstand. Man wünscht den Tapferen, dass sie gegen die Windmühlen gewinnen. Oder dass die Windmühlen Wirklichkeit werden. Und Schubert, wie es ihm vorschwebt, „nach dem Zeitschlauch“ rund fünfzig Arbeitsplätze schafft.
Das Thema „Energie“ führt uns zum aktiven Tagebau Welzow. Wo an einem Ende noch der Bagger frisst, während auf den „Rekultivierungsflächen“ schon junge Sträucher ihre Blättchen der Sonne entgegen recken. Wo Pflanzen wachsen, kann auch Energie gedeihen. Ein IBA Projekt, das Anfang des Jahrtausends begann, wollte hier einen Versuch starten: Wie man das, was ein Tagebau in schier endloser Fülle hinterlässt – nähstoffarme Böden nämlich – in einen Energiegarten verwandeln kann. Man wollte ganzheitlich sowohl erneuerbare Energie gewinnen, lokal eingebettet wirtschaften als auch Landschaft gestalten. Ein Verein „Energiegarten e.V.“ trat an, erschloss mit der IBA gemeinsam über das EU-Projekt „REKULA“ Fördergelder und legte eine Studie „Potenzialanalyse für Energiegärten“ vor. Über das Konzept sprach man mit lokalen Landwirten und der Vattenfall Mining AG. Man legte es bei der gemeinsamen Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg in Cottbus vor. Und scheiterte.
Wir sitzen bei Gerald Kendzia in der Cottbuser Hauptverwaltung der Vattenfall Mining AG, und Kendzia erklärt, weshalb der „Energiegarten“ misslang. Wenn ein Tagebau rekultiviert werden soll, wird ein „Braunkohlenplan“ erstellt. Dazu setzten sich die Tagebaubetreiber, gesellschaftliche Gruppen sowie das Land an einen Tisch, und wiesen den Flächen bestimmten Nutzungen zu: Landwirtschaft, Wald oder Naturschutzgebiet. Das eine Problem war: Ein Energiegarten passte in keines dieser Raster. Das andere war: Die Planung war bereits abgeschlossen.
Was blieb von der ambitionierten Idee? Die BTU Cottbus im Verbund mit der Vattenfall Mining AG betreiben auf Rekultivierungsflächen schon seit Längerem Versuche mit schnell wachsenden Gehölzen. Sie kauften 160 Hektar Fläche an, um mit Anbaumethoden für schnellwachsende Energiepflanzen zu experimentieren. 66 Hektar sind bereits aufgeforstet. Den viel kleineren Versuch nannte man „Energielandschaft“.
Ob das Experiment einen praktischen Nutzen habe, wollen wir wissen. Kendzia überlegt. Es habe ein durchaus praktisches Ziel, sagt er. Am greifbaren Beispiel wird erprobt, ob etwa Agroforst-Systeme für Energiepflanzen langfristig nicht nur ökologischer sondern auch wirtschaftlicher sind. Allerdings, räumt er ein, verhielten sich potenzielle Anwender bislang zurückhaltend. Weil Landwirtschaftliche Förderprogramme bislang auf Mischnutzungen nicht zugeschnitten sind. Der Feldversuch produziert Ergebnisse für die Zukunft. Nach einem „Zeitschlauch“ mag man davon profitieren.
Wir fahren weiter. Die Bilanz, wenn man sie in nackten Zahlen liest, sieht ernüchternd aus. Im Jahr 1989 arbeiteten in der Lausitz nach Angaben der LAUBAG rund 79.000 Menschen im Braunkohlebergbau. Die Kohle war alles, gab alles und bedeutete alles in dieser Region. Heute fahren wir viele Kilometer weit von einem Projekt zum nächsten. Das eine singt von Zukunft, vielleicht, irgendwann. Ein anderes erzählt von Vergangenheit. Selbst das Erfolgsprojekt F60 nimmt sich vor dem, was war, winzig aus.
Aber geht es nicht vielleicht um anderes? Muss man anders fragen, wenn man erkennen will, was sich durch die Experimente verändert hat? „Von hier oben sieht unsere Landschaft anders aus“, hatte die behelmte Gästeführerin an der F60 gesagt. Und alle nickten entschlossen. Auf halber Strecke, noch nicht am Ziel aber schon weit draußen, tun sich neue Ausblicke auf.
Vielleicht kommt man weiter, wenn man nach neu gewonnenen Sichtweisen fragt. Nach Möglichkeiten, wie man neue Wege erschließt. Ausgerechnet Hajo Schubert vom Kraftwerk Plessa war es, der in einer Zwischenbilanz einmal sagte: „Es wird bleiben, dass man in dieser Region Mut gehabt hat.“
Um Mut geht es. Und um die Gabe, wie David, der Goliath gegenübersteht, auf die Idee mit der Schleuder zu kommen. Statt gar nicht erst anzutreten. Wer mit aller Kraft versucht, was als unmöglich gilt, findet mitunter ungewöhnliche Wege. Solche, auf die man in der „Experimentalregion“ angewiesen ist.
„Wenn Sie mich fragen, WIE wir das geschafft haben“, sagt Michael Nadebor „kann ich Ihnen das im Detail gar nicht mehr widergeben. Aber es hatte viel, das meiste eigentlich, damit zu tun, dass ständig Leute miteinander am Tisch saßen, die sich sonst nicht miteinander kurz schließen würden.“ Schließlich war nicht einmal klar, ob eine Besucherbrücke nun eigentlich ein Haus oder eine Maschine sei. Ob sie unter Baurecht oder unter Bergrecht stehen sollte. Wären nicht eine Reihe hoch ungewöhnlicher Verabredungen zustande gekommen, hätte man die Idee beerdigen müssen. Eine davon war, die Brücke unter Bergrecht zu belassen. Damit sie zwar wie ein Haus begehbar ist, aber weiterhin die Sicherheitsstandards einer Bergmaschine erfüllt. Ein weiterer Schritt zum Erfolg war, dass die Akteure schon sehr bald schon im Sinne einer weiteren Entwicklung dachten. Die Gemeinde Lichterfeld Schacksdorf, Eigentümerin der F60, bestimmte von Beginn an den Wandel vom Tagebau zur Tourismuslandschaft mit. Sie kaufte bereits künftige Wassergrundstücke, damit man Gestalter und nicht Spielball der touristischen Entwicklung wird. Gestaltet wird auch an der Brücke selbst. Man hat die „F60 Concept GmbH“ gegründet, die Feiern ausrichtet, Veranstaltungen mit Licht-Klang-Installation und vieles mehr. Womit das Angebot erweiterbar wird. Wer ein Denkmal für Besucher öffnet, empfängt je nach Werbung und Zuspruch mehr oder weniger Gäste. Wer Kunstaktionen, Konzerte und Festivals organisiert, kann mit mehr Engagement mehr erreichen. Der Besucheranteil für kulturelle Veranstaltungen steigt.
Ein anderes Projekt, das vom findigen Schleichwegeschlagen durch bürokratisches Dickicht erzählt, ist die Tauchschule am Gräbendorfer See. Sie versuchte gleich auf mehreren Ebenen so Avantgardistisches wie Unmögliches. Nicht genug damit, dass die Schule als IBA-Projekt und Schwimmende Architektur an den Start gehen wollte – was stets die Frage aufwirft, ob ein Objekt als Gebäude oder als Schiff registriert werden muss. Die Idee schoss den Vogel ab, weil die Schule auf einem Tagebausee schwimmen sollte, der noch nicht einmal als Gewässer galt. Sondern als ein Tagebauloch in Flutung. Die Gespräche auf dem kurzen Dienstweg, die Elefantenrunden und Gesprächsmarathons suchten ihres Gleichen. Und sie gelangen! Nicht, dass eine Tauchschule die Region retten könnte. Doch sowohl ihr Gründer – ein früherer Marinetaucher aus Cottbus – als auch die örtlichen Behörden sind um eine Erfahrung reicher. Dass Dinge möglich werden – wenn man andere Verbindungen herstellt als jene, die üblich sind.
Ein Wegbereiter für ungewöhnliche Verabredungen war selbst das gescheiterte Energiegarten-Projekt. „Ohne „Energiegarten“, sagt Kendzia hätten wir uns nie mit der gemeinsamen Landesplanung über ein integriertes Raum-Konzept unterhalten.“ Nicht, dass ein Mammut wie ein bereits abgesegneter Braunkohlenplan zu Fall gebracht werden könnte. Aber auf künftige Planungen könnte es Effekte haben.
Die Zeit des Experimentierens hat Wirkung gezeigt. Doch es geht um qualitative – nicht um quantitative Veränderungen. Veränderungen im Denken, im Herangehen, im kreativen Hantieren mit dem, was nun einmal vorhanden ist.
Wenn derlei Umdenken nur im Prozess einiger IBA-Projekte gelingt, sei der Effekt marginal, mag man dem entgegenhalten. Doch wer sehen will, mag den Kopf heben. Blickt man von der F60 aus 80 Meter Höhe nach unten, sieht man einen kleinen Planwagen, den zwei tapfere Pferdchen Richtung Tagebau Klettwitz ziehen. Eine junge Frau kutschiert ein Dutzend Besucher und wird ihnen gleich die Geschichte des Tagebaus nahe bringen, derweilen den Wagen lenken und eigene Marmeladen zum Kosten anbieten, kurz gesagt, ihre eigene Existenz aufbauen. Die mit einiger Mühe verbunden ist – aber funktioniert. Das Erstaunliche ist, dass Susanne Tausche, gelernte Pferdewirtin, in die Region zurückgekehrt ist, nachdem sie ihr wegen Arbeit und Ausbildung längst den Rücken gekehrt hatte. Weshalb? Nachdem sie auf einer Nordsee-Hallig für einen Gastwirt einen Kremser kutschiert hatte, wollte sie sich selbstständig machen. „An der Nordsee hast du keine Chance“, sagt sie. Weil jede Nische schon vergeben sei. In dieser Region sei zwar die Zukunft ungewiss, dafür stünden die Wege offen. Einfach war es nicht. Sie brauchte Sondergenehmigungen, im Tagebau zu fahren, sie brauchte Findigkeit und Unterstützung, um in der touristisch noch kaum entwickelten Gegend genügend Gäste zu finden. Nicht nur Tagebautouren, auch Kindergeburtstage bietet sie an. Bei denen auch mal überraschend die Kutsche überfallen wird. Wer über Neuland kutschiert, muss sich etwas einfallen lassen. Notfalls sogar ein paar Räuber, die aus den Büschen springen.
Eine andere Pionierin ist Sylvia Siermann, die in Geierswalde mit ihrer Idee in See gestochen ist. Mit schwimmenden „Grill & Chill Donats“ – runden Schwimminseln, auf denen man grillen, speisen und dabei über den See schippern kann, hat sie den „Lausitzer Existenzgründerwettbewerb“ 2008 gewonnen. „Weil die Sparkasse mit in der Jury saß, konnte sie immerhin zur Finanzierung nicht nein sagen“, scherzt sie. Einstweilen kämpft sie noch mit den Startschwierigkeiten eines noch nicht voll entwickelten Seenlands. Damit zum Beispiel, dass der Überleiter zum Senftenberger See nicht 2012 fertig wird wie angekündigt, sondern voraussichtlich erst 2013. Wer hier Pionier ist, setze sich nicht ins gemachte Nest, sagt sie. Man muss an die Idee glauben. Und durchhalten.
Wenn die IBA als Experimentalregion zu verstehen ist, ist nicht allein entscheidend, ob die IBA-Projekte selbst gelingen. Von mindestens ebenso großem Interesse ist, was links und rechts von ihr entsteht. Die IBA ist von Beginn an nicht als Retterin sondern als Katalysator angetreten. Die Dinge aufgreift, unterstützt und möglich macht, bestenfalls ein Bespiel gibt. Entscheidend ist nicht der große Wurf, sondern Humusbildung. Indem die Erfahrung, neue Wege zu beschreiten und dabei weiter zu kommen, hier, da und dort gemacht wird. In kleinen wie in größeren Unternehmungen. Von denen das eine oder andere glückt. Kein Gründergeist wird dabei entstehen, vielleicht aber Wissensbildung. Ein kollektiver Erfahrungsschatz, wie diejenigen, die trotz allem bleiben oder trotz allem kommen wollen, hier etwas schaffen können. Indem sie mehr Wagemut aufbringen als gewöhnlich. Mehr Netzwerkkompetenz beweisen als ein Dutzend Manager. Und mehr Vorstellungskraft als die Entdecker Amerikas.
An den IBA-Terrassen in Großräschen ist die IBA noch zu sehen – die blauen Würfel mit den weißen Lettern. Aber den Staffelstab hat sie schon weitergereicht. An die Bodenbereiter, die bleiben und weitermachen. Die „IBA-Tours“ stehen schon jetzt nichts mehr für „Touren der Internationalen Bauausstellung“, sondern für das Unternehmen eines Vaters, der Bergmann und Klempner war – jetzt Reiseleiter. Und für dessen Sohn, früher Soziologiestudent – jetzt Firmengründer. Begonnen hat es, als Hoika Senior nach der Wende mit einem Sanitärbetrieb pleite ging und nach neuen Möglichkeiten suchte. Er kaufte einen grünen Kleinbus und dockte bei den IBA Terrassen in Großräschen an. Als einer der ersten zeigte er Fremden das Lausitzer Seenland, das zu dieser Zeit noch eher mit Restlöchern als mit Wasser in Verbindung gebracht wurde. Er holte Sondergenehmigungen ein, direkt am Ufer zu fahren, zeigte die neuen Ausblicke, und in Großräschen begann die „Reise zum Mars.“ Hoikas Ich-AG war alles andere als eine startende Rakete. Er ging Schritt für Schritt, und nie weiter als die Kräfte zuließen. Aber als die IBA ihre Zelte abbrach, war sein Unternehmen gerade groß genug, um die IBA Touren zu beerben.
Er holte seinen Sohn ins Boot – weil er nicht sicher war, ob er es allein bewältigen würde. Gemeinsam gründeten sie „IBA-Tours“. Was jetzt „Ihr besonderer Ausflug“ heißt. Der Vater als Spezialist fürs Bodenständige – der Sohn als akademische Verstärkung. Zusammen sind sie überall.
Auch jetzt tun sie keine großen Sprünge, sondern kalkulieren vorsichtig. Ihre Stärke liegt darin, dass sie alles und jeden verbinden. In diesem Raum, in dem die Strecken zwischen den Besucherhighlights weit sind, wo die Gastronomie erst am Anfang steht und die Planung einer Zwei-Tages-Tour mit Übernachtung noch eine Herausforderung ist. Ihre Touren planen sie so, dass sowohl die Besucherriesen wie die F60 auf der Strecke liegen – als auch seltene Schönheiten. Orte, die so selten besucht werden, dass Führungen nur nach Absprache stattfinden. So können Hoikas „Geheimtipps“ anbieten – und die Betreiber können mit festen Gästen rechnen. Die Experimentalregion ist ja durchaus reich an Besonderheiten. Nur mangelt es an vielem. An Hotels zum Beispiel. Die wiederum um kalkulierbare Belegungen ringen. Es ist wie ein Spiel, in dem Teile fehlen. Nur wer klug kombiniert, kommt weiter. „Natürlich konkurrieren wir um Gäste“, sagt Sören Hoika. „Nur haben wir verstanden, dass wir gerade hier sehr gut miteinander kooperieren müssen. Sonst haben wir überhaupt keine Chance.“
Die IBA wird bald Geschichte sein. Was bleibt, sind ihre Erben. Bevor es Abend wird, fahren wir noch einmal nach Welzow. Ein Mannschaftstransportwagen holt uns ab, und mit dröhnendem Motor geht es los – mitten in die Landschaften, für die die Lausitz in den letzten Jahren bekannt geworden ist. Die bizarren Bergformationen, jähen Schluchten, sandigen Weiten. Die lokalen Akteure heißen hier „Excursio“, der „Bergbautourismusverein“ von Welzow. Eine Hand voll Ansässiger hat ihn gegründet. „Wir wollten Welzow entwickeln, als wir vor sechs Jahren begannen“, erinnert sich Vorstandsmitglied Gundula Stede. „Und fragten uns: Was ist Welzow, wenn man den Tagebau nicht sieht?“ Excursio legte einen steinigen Weg zurück, um dort anzukommen, wo sie heute sind. Im aktiven Tagebau, neben laufenden Baggern, führen sie Touren. Was keiner für möglich hielt, geht.
Allerdings ging es ihnen nicht um Mondlandschaften sondern um Technik. Ingenieurskunst. Stede, die ihr Leben lang bei LAUBAG, dann bei Vattenfall gearbeitet hatte, war die Schönheit von Halden so fremd wie einem Lebenslustigen der Tod. Wenn die Bergleute über die Maschinen reden, meint man lebendige Geschöpfte zu sehen, die arbeiten, schaffen und die Erde umwühlen. Die Restlöcher, die toten Halden sind ihnen nur das, was übrig bleibt. „Krank“, sagten manche, wenn das IBA Büro von „Wüsten Oasen“ und „einzigartiger Landschaft“ sprach. Wenn sie in Großräschen „Wanderungen zum Mars“ anbot. Ein Treppenwitz, dass sie es waren, die die Mars-Wanderungen beerbten. Denn als in Großräschen das Wasser schon so hoch stand, dass man längst nasse Füße bekam, waren Tagebausafaris nur noch in Welzow möglich – im aktiven Tagebau. Während das Seenland immer mehr zum Wasserland wurde, gewannen die Welzower Tagebau-Exkursionen immer mehr an Einzigartigkeit. Die Höhen, die Täler, die Abraumgebirge – hier sind sie noch zu sehen. Sie holten Karsten Feucht ins Boot, den Vater der Marswanderungen. Und bieten heute Touren durch „Canyons“ an, mit Jeeps, Quad- und Fahrrädern. „Dass Menschen in dieser Dünenlandschaft einmal Fahrrad fahren würden“, sagt Stede, „das hätte ich mir anfangs nie vorstellen können.“ Genauso wenig wie ein Picknick, an einer langen Tafel, weiß eingedeckt, mitten im Sand.
Erschienen im Abschlussband der Internationale Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land: „Verwundete Landschaft neu gestalten“, Jovis Verlag, 2012