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Weihnachten und das Kreuz mit dem Süden

Es war letztes Jahr um die Weihnachts­zeit, als wir schwach wurden, mein Freund und ich, und per Mouse­klick buchten. Norma­ler­weise mögen wir so etwas nicht - einfach in einen Billig­flieger steigen und dann bekommst du den Süden, die zirpenden Zikaden, den blauen Himmel geschenkt. Du liegst am Strand. Das Meer rollt sachte an, abends siehst du das Kreuz des Südens.

Doch ja, wir wollten auch mal etwas geschenkt bekommen und buchten Las Palmas hin und zurück. Wir klickten ein paar Mal und gaben eine Nummern ein.

Im Morgen­grauen packten wir und machten uns auf leisen Sohlen aus der schla­fenden Stadt. Auf dem Rollfeld des Flugha­fens jubelten wir innerlich. Ein nasskalter Wind stürmte uns ins Gesicht, und wir merkten, wie gut uns das tat. Sich mal was gönnen, sich die Sonne ins Herz scheinen lassen, in einer Stunde schon. Und Palmen. Meinet­wegen auch Palmen. Wir hoben ab.

Im Flieger saßen Leute mit Weihnachts­mann­mützen, die sangen. Neben uns schnarchte jemand, dem der Mund offen stand. Im Mittel­gang kotzte ein Kind. Wenn wir in Termik­lö­cher gerieten, rumpelte es und ich stellte mir einen Ochsen­karren auf einer Schlag­loch­piste vor. Unheim­lich zu wissen, dass sich unter uns nichts als ein Abgrund befand. Ich dachte an Palmen.

Wir dachten an nichts mehr, als wir in der Nähe von Las Palmas auf dem Flughafen die Koffer und Taschen fixierten, die träge im Oval herum­liefen. Es ging nur noch darum, die Sache über die Bühne zu bringen. Wir wussten ja nicht mal, wo wir hin sollten, wir hatten ja gar keinen Plan. Im Flugzeug hatten wir Sekt getrunken, wir hatten noch nichts gegessen, und die afrika­ni­sche Hitze hatte uns mit einem dumpfen Schlag auf den Kopf Hallo gesagt. Mein Freund sagte, er wolle ans Meer, einfach am Strand sitzen. Mehr brauche er nicht. Er sagte es so, als sei es das Simpelste der Welt, doch mir schien das Meer unendlich weit entfernt; viel weiter als heute morgen noch, an einem Küchen­tisch in Berlin. Wir fragten einen der Weihnachts­männer, ob er wisse, wo das Meer sei. Er sagte, die große Straße entlang, immer nach Süden, die Küste liege linker Hand. Er stieg in einen Bus Richtung Playa del Ingles und riet uns, auch damit zu fahren. Aber mein Freund hatte keinen Bock auf den Bus, also gingen wir zu Fuß. Es war heiß und viel zu hell, es roch nach Asphalt, Autos rasten an uns vorbei, wir trugen unsere Taschen geschul­tert und sangen: “We´re on the road to nowhere”, weil wir in diesem Moment alles urkomisch fanden. Der Weihnachts­mann weiß den Weg zum Meer, ha, ha. Er hatte uns noch gewunken, aus dem Bus heraus.

Als wir ein Dorf erreichten, waren wir schon ziemlich erledigt. Wir kauften Fisch­büchsen, Brot und Wein und machten uns daran, den Strand zu suchen. Der Verkäufer des einzigen Lebens­mit­tel­ge­schäfts sagte uns, wir sollten die Straße entlang nach Norden wandern und am Flughafen einen Bus Richtung Playa del Ingles nehmen. Aber wir wussten, dass wir das nicht mehr schaffen würden. Wir fanden schließ­lich das Meer. Ein riesiges Betonrohr führte ins Wasser. Daneben erstreckte sich karstiges Feld, Geröll und Plastik­fla­schen. Ein toter, weißer aufge­blähter Hund lag auf dem Rücken, an das Rohr gelehnt, die Beine kerzen­ge­rade in den blauen Himmel gestreckt. Wir blieben einfach sitzen, aßen das Brot und den Fisch, tranken den Wein und fühlten uns betrunken. Wir erzählten uns Geschichten oder schwiegen, unter­bro­chen vom Lärm landender Flugzeuge, und als sich die Sonne senkte, rollten wir unsere Schlaf­säcke aus.

Wir lagen neben­ein­ander in unseren Schlaf­sack­daunen und fühlten uns wunschlos, vielleicht sogar glücklich. Stündlich schreckten wir auf, Flugzeug­düsen dröhnten, als sei die Apoka­lypse gekommen, gleißendes Licht erhellte uns, die leeren Flaschen und den toten Hund. Dann war wieder Stille, die Zikaden zirpten. „Schau mal“, sagte ich, „ich glaube, das da oben ist das Kreuz des Südens.“

Erschienen in „der Freitag - 23. Dezember 2005