Der eigene Brunnen

Warum das eigene Wasser so wichtig ist

Vor einiger Zeit haben wir ein Haus mit Scheune und einem Stück Garten­land in einem Branden­burger Dorf gekauft. Das Grund­stück liegt ein ganzes Stück südlich der A 12 und ein ganzes Stück westlich von einem See mit Marina und Segel­booten. In unserem Dorf ist von Marina und Segel­booten nichts zu spüren. Zwischen uns und ihnen verläuft die scharfe Grenze zwischen Land mit Erholungs­funk­tion für Berliner und einfach nur Land.

Zuvor hatten wir in Berlin gelebt, uns bis dahin aber nie als Berliner betrachtet, denn mein Mann stammt aus Thüringen und mütter­li­cher­seits aus Ostbran­den­burg und ich aus Franken. Ich bin nicht sicher, aber es könnte sein, dass ich in unserem Dorf die einzige Westdeut­sche bin. Wider Erwarten spielt das aller­dings kaum eine Rolle. Dafür bin ich jetzt zur Berli­nerin geworden. Eine Auszeich­nung, die man mir in Berlin ganze zwanzig Jahre lang nicht zuerkannte. In den Augen der Dorfbe­wohner aber sind wir in erster Linie Berliner, und das reicht als Unter­schei­dungs­merkmal erst einmal völlig aus. Überra­schen­der­weise heißt das aber nicht, dass wir am dörfli­chen Leben nicht teilhaben dürften. Der Branden­burger Landkosmos hat uns auf unkom­pli­zierte Weise in seine Arme geschlossen. Wir haben gemeinsam mit unseren Nachbarn die Zäune zu den beiden angren­zenden Grund­stü­cken entfernt, passen gegen­seitig auf Haus- und Nutztiere auf und machen hin und wieder zusammen Feuer. So lerne ich unsere neuen Nachbarn seit einigen Jahren langsam immer besser kennen, und auch andere Leute im Dorf haben wir schätzen gelernt.

Von Beginn an fiel mir auf, dass vieles, von dem ich es erwartet hatte, keiner Erklärung bedurfte. Hatte ich mir alles­mög­liche zur Einfüh­rung meiner Selbst, unserer Herkunft und Absichten zurecht­ge­legt, merkte ich schnell, dass diese Infor­ma­tionen gar nicht abgefragt wurden. Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Gesprächs­si­tua­tionen andere sind. Wenn du in der Stadt einem Mietshaus oder im Café einen Menschen triffst, bedürfen all diese Fragen – wer du bist, wo du herkommst und was du willst – einer Erklärung. Im Dorf hatten sich die Basis­in­for­ma­tionen über uns herum­ge­spro­chen, noch bevor wir das erste Mal selbst unsere Haustür aufschlossen. Und der Rest ist sichtbar. Du wohnst am Anger und hast da ein Haus in Schuss zu bringen, du stehst im Garten und machst mit Erde oder Steinen oder Pflanzen herum, und deshalb müssen Gespräche nicht mit „Guten Tag, ich bin sowieso und will mit Ihnen über folgendes sprechen“ beginnen, sondern zum Beispiel mit „Rosen würde ich anders schneiden, als Sie das gerade machen. Ich zeig Ihnen das mal“.

Als Türöffner zu Gesprä­chen, die keiner Einlei­tung bedurften, erwies sich ein alter gemau­erter und gekachelter Herd in unserer Küche. Eine sogenannte Kochma­schine. Egal wer kam, es dauerte keine Minute, und wir waren mitten drin im Austausch darüber, wie so ein Ofen funktio­niert, wer ihn heute noch reparieren kann, wer welche Waldstück­chen besitzt, dass Robinien bei uns Akazien heißen und ihr Brennwert unschlagbar ist. Eine Kochma­schine ist eine Kreuzung zwischen Herd und Kachel­ofen, und das Tolle an ihr ist, dass man sie selbst mit Holz befeuern, dabei eine Bullen­hitze erzeugen, gleich­zeitig Wasser erwärmen und Kochen kann. Auch Brote kann man auf ihr rösten, die viel besser schmecken als wenn sie aus dem Toaster kommen. Und so kommt man ins Gespräch. Das Heizen überhaupt ist ein Thema, das viele bewegt und über das sich jederzeit reden lässt. Zum Beispiel über Holzpal­let­kessel, Buller­jane oder mit Holz zu befeu­ernde Zentral­hei­zungen, die man noch aus DDR-Zeiten hat und gegen die Bevor­mun­dung des Schorn­stein­fe­gers vertei­digen muss. Einer unserer Bekannten hat einen Schorn­stein­feger, der ihn zum Still­legen einer solchen Heizung zwingen wollte, unter Verwün­schungen vom Hof gejagt. Leider nicht mit dauer­haftem Erfolg. Im Kern geht es darum, in der Frage des Heizens möglichst unabhängig zu sein. Unabhängig von Energie, die aus der Ferne kommt und am liebsten auch von Bestim­mungen, die weit entfernt von uns festge­legt werden. Im Fall der Fälle aus dem nahge­le­genen Wald heraus heizen zu können, das ist etwas Gutes! Wenn Putin das Gas abdreht. Oder wenn der Strom ausfällt. Im Fall der Fälle hat man auch genügend Wiese hinterm Haus, um für den eigenen Bedarf, Kartof­feln anzubauen. Über den Fall der Fälle reden wir unbefan­gener mit den Leuten, seit wir sie schon etwas besser kennen. „Wenn der Krisen­fall kommt, sagte kürzlich jemand zu uns, „wird man die Super­märkte von Weitem daran erkennen, dass über ihnen eine schwarze sirrende Säule steht. Das sind die Fliegen, die über den abgetauten Kühlre­galen kreisen. Während wir noch ein Schwein schlachten und Wurst machen können.“ Selbst mein Mann redet gelegent­lich davon, dass unsere Wiese groß genug sei, um im Fall aller Fälle „Knollen zu machen“. Dabei wirkt er so, als würde ihm die Idee auf eigen­tüm­liche Art auch gefallen. Mir graut davor, wenn ich daran denke, mit welcher Mühe wir allein ein paar Tomaten ziehen. Es ist seltsam. So ein Krisen­fall sollte doch kein schöner Gedanke sein. Dennoch scheint, wenn die Leute von diesem Szenario reden, etwas Positives mitzu­schwingen, von dem ich nicht weiß, was es ist. Aber ich wüsste es gern. Ich habe das Gefühl, wenn ich es verstehe, den Leuten ein Stück näher zu kommen.

Dass wir längst mitten drin sind, wurde mir klar, als wir im letzten Jahr merkten, dass wir einen Brunnen brauchen. Das Haus ist ein altes Handwer­ker­haus, früher mit einer kleinen Landwirt­schaft, die zur Selbst­ver­sor­gung diente. Einen Brunnen gab es schon mal, aber er ist versandet und müsste instand gesetzt werden. Das kostet viel Geld. Aber wir brauchen ihn eben. Denn Wasser wird sicher immer teurer werden, und was soll man ohne Wasser anfangen? Der Gedanke ließ uns nicht los. Weil das Ertüch­tigen des Brunnens so teuer werden würde, dachten wir daran, das Projekt mit unserem Nachbarn zusammen zu stemmen. Aber wir zögerten.

Dann passierte es, dass ich eines Tages im Gespräch mit unserem Nachbarn mit der Geschichte heraus­platzte. Wie ein Kind, das eine wichtige Sache einfach nicht für sich behalten kann. „Machen wir“, sagte unser Nachbar knapp. „Wir fragen den Brunnen­bauer, was es kosten soll, dann grillen wir zusammen und reden, wie wir es machen wollen.“

Das Reden mit unseren Nachbarn, „wie wir es machen wollen“ war wieder so eine neue Erfahrung. An alles Mögliche hatten wir gedacht. Was zum Beispiel würde sein, wenn einer von uns sein Haus verkauft? Wem käme dann der Mehrwert des Brunnens zugute, den wir gemeinsam bezahlt hätten, d er sich aber auf unserem Grund­stück befindet? Und was, wenn wir uns über das ganze Thema zerstritten? Wir dachten an einen Vertrag. Doch war uns klar, dass der schwer auszu­ge­stalten sein würde. Sehr viel klarer sahen das unsere Nachbarn. Sie sagten sinngemäß: „Wenn wir uns zerstreiten, zerstreiten wir uns – ob mit oder ohne Vertrag. Und fertig.“ Viel mehr Raum in diesem Gespräch nahm die Freude über unseren künftigen Brunnen ein. Bei ein paar Flaschen Bier wurde es ein richtiges Freuden­fest. Das Fest des eigenen Wassers. An diesem Abend verstand ich einiges über die Freude am Gedan­ken­spiel der Krise. Den Brunnen, das hätte gar nicht gesagt werden müssen, verstand auch unser Nachbar als Baustein zum Glück, im Fall der Fälle unabhängig zu sein. Aber der Kern der Sache war ein anderer. Unser Nachbar hatte, wie sich zeigte, viel genauer gerechnet als wir, ob sich die Inves­ti­tion in den Brunnen lohnte. Es lohnt sich nicht, meinte er. Bis sich der Brunnenbau rechne, müssten wir schon einen ganzen Stausee anlegen. Er legte uns Zahlen vor, dass uns der Kopf schwirrte – und endete damit, dass es ihm darauf aber gar nicht ankäme. Nicht um Zahlen ginge es, und um den Krisen­fall erst recht nicht. Das sei, „mal ehrlich, natürlich Quatsch“, und das wüsste ja jeder. Worum ginge es ihm denn, fragten wir ihn. Und unser Nachbar antwor­tete, ohne nur einen Moment zu zögern:

„Um das Gefühl, unabhängig zu sein. Das Gefühl, etwas selbst in der Hand zu haben, das wesent­lich ist. Wie zum Beispiel das Wasser.“ In einer hoffnungslos überre­gu­lierten Welt sei das etwas sehr Wichtiges. Und das sei ihm fast jeden Preis wert.

Wir kamen ins Nachdenken und nahmen uns vor, bei nächster Gelegen­heit mit unseren Stadt­freunden darüber zu sprechen. Keiner der Leute, mit denen wir über Kochma­schinen, Brunnen und den Fall der Fälle geredet hatten, war uns je blöd vorge­kommen. Sie wirken nicht wie Spinner und schon gar nicht wie Aussteiger. Wir fragten uns, ob die Lust am Szenario des Krisen­falls nicht im Grunde ein gedachter Flucht­punkt sei. Nach dem Motto: Wenn einmal die großen Systeme ausfallen, dann kommt es auf Dinge an, die man auf dem Land immer konnte – und zum Teil auch noch kann. Dann sind sie wieder gefragt und sind etwas wert. Und die Landbe­wohner sind nicht mehr die Zurück­ge­las­senen der Gesell­schaft, sondern dieje­nigen, die Erfahrung und Möglich­keiten haben. Die Tiere halten und das Dach selbst reparieren können oder sogar wissen, wo im Garten man nach Wasser bohrt. Für das Selbst­ver­ständnis der auf dem Land lebenden war von je her wesent­lich, Dinge selbst machen zu können. Bei allen Nachteilen, kein Stadt­bürger zu sein, verfügte ein Bauer in der Geschichte immerhin über das Wissen und Können, basale Dinge des Lebens selbst zu produ­zieren. Nicht, dass der Bauer alles selbst machte, was er verbrauchte. Auch das ländliche System war über Jahrhun­derte immer Teil größerer Systeme. Aber vieles konnte er selbst herstellen. Selbst Handwerker hatten fast immer eine Neben­er­werbs­land­wirt­schaft. Auch wenn die großen politi­schen Entschei­dungen in den Städten gefällt wurden, konnte der Landbe­wohner im Gegensatz zum Stadt­bürger über diese ihn selbst betref­fenden Dinge entscheiden. Er musste auch für sie gerade­stehen. Ist der Stall schlecht gebaut, holt der Fuchs die Hühner. Versiegt der Brunnen, hat das Haus kein Wasser.

Nun hat das Leben auf dem Land sich gründlich gewandelt. Von 170 Bewohnern unseres Dorfs arbeitet einer noch in der Landwirt­schaft. In den 1980er Jahren schloss man die letzten Häuser an die Wasser­ver­sor­gung an. Fast alle Leute fahren zur Arbeit in andere Orte. Dennoch hat der weitaus größte Teil der Bewohner seine Wurzeln entweder im Dorf oder anderswo auf dem Land. Das Selbst­bild, ein Landbe­wohner und kein Städter zu sein, ist stark. Aber es ringt um Anker­punkte. Die Landwirt­schaft taugt dazu nicht mehr. Anders ist es mit dem Dinge-selbst-leisten-können und der Selbst­ver­ant­wor­tung. Noch zu DDR-Zeiten wurde neben der Arbeit in der LPG geräu­chert, geangelt, gegärt­nert und privat Bullen­mast betrieben. Letztere stellte für manche den Bären­an­teil ihres Einkom­mens dar. Hausschlach­tung war erlaubt, und niemanden kümmerte, was die Leute mit ihren Brunnen anfingen oder ob jemand einen Schuppen anbaute. Nach 89 verschwanden die Bullen aus den Ställen, aber das Wissen, wie man den Gemüse­garten richtig bestellt, unter­scheidet nach wie vor die alten Dorfbe­wohner von Zugezo­genen wie uns. Es gibt alte und aktuelle Geschichten von wahnsin­nigen Pilzfunden und unglaub­li­chen Fisch­fängen, für die junge Frauen, die wir kennen, nächte­lang allein am See sitzen. Und von geschos­senen Wildsäuen, die so fett sind, dass sie kaum aus dem Wald zu ziehen sind. Dass man Dinge selbst hat oder schaffen kann – im Gegensatz zu den Städtern – wird unheim­lich gerne erzählt. Gerade uns, die wir ja aus Berlin stammen!

Zugleich ist die Selbst­ver­ant­wor­tung zum bedrohten und umkämpften Gut und umkämpften geworden. Eine Bürger­meis­terin gibt es nicht mehr. Nur noch einen Ortsvor­steher, der für unseren Ort kein eigenes Budget hat. In der Gemeinde, der wir angeglie­dert sind, hat er nicht einmal ein Stimm­recht. Entschei­dungen werden immer weiter entfernt gefällt. Sie sind weder einsehbar noch verständ­lich noch zu beein­flussen. Und sie greifen empfind­lich in Sphären ein, die die Menschen als ihre Ureigenen empfinden. Angesichts all dessen steht die Frage, ob ein Brunnen gebohrt werden kann, ohne eine Behörde um Erlaubnis zu fragen, für weit mehr als für das Glück, seltsam eisen­hal­tiges Wasser aus dem Erdreich zu pumpen. Indem dem Selbst­ver­ständnis, auf dem Land zu leben, so vieles genommen wurde, ohne dass adäquat neue – selbst und nicht fremd bestimmte – Quali­täten hinzu­kommen, könnte das Ganze zum neural­gi­schen Punkt geraten. Zum Konflikt­feld, an dem sich mit entscheiden könnte, inwiefern Landbe­wohner sich selbst als Teil der Veran­stal­tung verstehen. Oder ob ihr Verständnis von Teilhabe auf den Flucht­punkt einer gedachten Ausnah­me­si­tua­tion zusam­men­schrumpft.

Über diese Fragen, die in unseren Augen einen ganzen Kosmos an Überle­gungen aufmachen, haben wir uns schluss­end­lich nur mit einer Handvoll unserer Stadt­freunde unter­halten. Um dann enttäuscht wieder damit aufzu­hören. Die Gespräche gestal­teten sich wider Erwarten recht knapp. Die Frage war eigent­lich nur, ob die Sache als Witz oder als Gefahr abgehan­delt wurde. Der erste Fall: Selbst­ver­sor­ger­phan­ta­sien auf dem Land? Flucht­punkt Krisen­fall? Ha, ha! Ganz klar – Prepper. Es folgten Erzäh­lungen von Leuten, die Bunker bauen und blöde Sachen horten. Lebens­mittel zum Beispiel, die am Ende vergam­meln. Oder Berge von Klopapier. Wir lachten freilich herzlich mit. Der zweite Fall: Branden­burger rüsten sich für Krisen­fall? Prepper, die zu braunem Gedan­kengut neigen! Es folgten Geschichten von Reichs­bür­gern, die Waffen sammeln, um Politiker, Linke oder Ausländer umzubringen. Bevor wir lange reden konnten, wurde uns das Ganze schlicht als Erken­nungs­merkmal rechter Milieus erklärt. „Aber“, versuchten wir einzu­wenden, „unsere Nachbarn haben garan­tiert nichts mit Rechten oder gar mit Reichs­bür­gern am Hut!“ Wer das Thema derart reduziert, dämoni­siert und verharm­lost zugleich.

Zwar wollte niemand uns zwingen, unsere Nachbarn im Spezi­ellen als Prepper und Reichs­bürger zu sehen. Aber durch die Blume ließ man uns wissen, dass das Land irgendwie doch verdächtig sei. Es war das Jahr, in dem alle von „unter­kom­plexen Systemen“ sprachen, vom „Kultur­es­sen­zia­lismus“ und der Neigung bestimmter Perso­nen­gruppen, das Einge­bun­den­sein ins große komplexe Ganze zu negieren. Imprä­gnie­rend dagegen wirkten Fernreisen, soziale Medien und das häufige beruf­liche Switschen zwischen verschie­denen Kulturen und Konti­nenten. Einer unserer Freunde ließ das Brunnen­bohren als Akt der „Selbst­er­mäch­ti­gung“ gerade noch durch­gehen. „Aber“, fragte er uns, „Wessen Ermäch­ti­gung sei das denn? Die des hetero­nor­ma­tiven weißen Mannes am Ende? Wie viel diversity gibt es denn bei euch auf dem Dorf?“ Wir guckten erstaunt. „Da gibt es einen aus Schweden“, eierten wir herum, „ein schwules Paar, die beide Handwerker sind, und auch ein paar Zugezo­gene aus Sachsen.“

Nichts rette uns. Und nichts galt. Und das lag daran, dass wir von vornherein verloren hatten. Das Land wurde gnadenlos an den Kriterien der Stadt gemessen. Ein paar Bierabende weiter, hatten wir wieder Entschei­dendes dazu gelernt. Das eine war das für uns neue Erlebnis, Erfah­rungen, die wir machten, nicht in Gespräche einbringen zu können. Es war, als ob man an einer Glasfläche abrutschte. Weil das Land in der Stadt dieser Tage ja ein großes Thema ist, hatten wir erwartet, unsere Gesprächs­partner müssten doch Fragen haben. Es kamen aber so gut wie nie Fragen. Statt­dessen kamen Erklä­rungen. Und zwar solche, die sich aus den städti­schen Diskursen ablei­teten. In diesen Erklä­rungen war im Grunde alles schon fertig. Was wir dazu sagen wollten, brauchte es nicht. Und es passte so wenig, dass es oft noch nicht  einmal aufge­nommen wurde. Die auf dem Land lebenden haben in diesen Debatten kein Stimm­recht. Sie sind keine Subjekte, deren Erfah­rungs­welt maßgeb­lich ist, sondern solche, über die geurteilt wird. Mal milde. Mal weniger. Manchmal sogar verständ­nis­voll. Zum ersten Mal merkte ich, wie bizarr da so manches am Ende klingt. Wie wenig Sinn es ergibt. Und wie wenig das Ganze weiter­hilft. Obwohl über die Probleme auf dem Land dieser Tage so viel geredet wird, habe ich das Gefühl, dass dieses Gespräch, das meist in Städten geführt wird, auf seltsame Art behindert ist. Und dass das vermut­lich Teil des Problems ist.

Als wir wieder ins Dorf fuhren, hatten wir keine Lust zu reden. Aber wir hatten große Lust, bald mit unserem Nachbarn zusammen den alten Brunnen wieder in Gang zu bringen. Um unabhängig zu sein. Das Gefühl unabhängig zu sein, damit hat er einfach recht, ist wirklich jeden Preis wert.

Erschienen im Blog OderAma­zonas - 3. Dezember 2020