Schuften wie eine Hafen­nutte

Mein Nachbar versteht meinen Mann besser als ich

Es ist Winter, und alles kommt nicht so recht voran. Vielleicht muss man es anders sagen: Alles Mögliche kommt voran, aber man sieht es nicht. Die Hygie­ne­kon­zepte zum Beispiel, die mein Mann machte, kamen voran, aber dann musste er sie wieder in die Tonne treten. Er machte neue. Dann waren auch die für die Katz. Wie in der alten K & K Monarchie versi­ckern Kraft und Zeit im Verfassen und Hin-und Herrei­chen von Papieren, die dann in den Verwal­tungen in Schub­laden liegen, oder in Datei­ord­nern, um irgend­wann ohne weiteres Ansehen gelöscht zu werden. Halbe Menschen­leben liegen da schon. Man könnte nach Rom laufen in dieser Zeit oder mehrere Pyramiden bauen. Derweilen machen alle ihre Video­kon­fe­renzen und bringen noch mehr Zeit herum. Und am Abend sind sie traurig, weil man das, was sie gemacht haben, nicht sieht.

Mein Nachbar versteht das besser als ich. Mein Mann versucht, auch jetzt im Winter, mit unserem Haus voran­zu­kommen. Unser Haus ist eine arme Büdner­wirt­schaft mit einer Scheune, in die ein Schwe­install für zwei Schweine, ein Kuhstall für eine Kuh und ein Plumpsklo integriert sind. An diese Scheune angebaut ist eine winzige Wasch­küche. Sie sieht aus wie ein gemau­ertes Kinder­haus mit einem Schorn­stein.

Das wichtigste wäre nun eigent­lich, den Innen­ausbau unseres Wohnhauses voran­zu­bringen. Es gibt noch kein Bad, und der Dachausbau ist nicht fertig. Die Spüle ist provi­so­risch, und kein Zimmer ist vollendet. Und weil das alles so ist, komme ich zurzeit meistens nur am Wochen­ende ins Haus. Mit dem Dachausbau haben wir schon vorigen Winter angefangen. Wir haben Holzfa­ser­matten zwischen die Sparren geklemmt und Dampf­brems­bahnen angeklebt. Jetzt muss das Ganze nur noch verkleidet werden. Aber weil das Gebälk so schief ist, ist das unendlich kompli­ziert. An den Dachsparren, die unter­schied­liche Winkel bilden und verschie­dene Längen haben, müssen Bretter angebracht werden, die parallel sein sollen, um am Ende eine Ebene zu bilden. Jedes angebrachte Brett wird so zur Maßarbeit. Und das Ganze zu einem Geduld­spiel.

Letztes Wochen­ende komme ich also ins Haus. Mein Mann gibt mir einen Kuss und stiehlt sich aus seiner Video­kon­fe­renz davon. Er flüstert mir zu, er müsse mir was zeigen. Einen Baufort­schritt. Statt ins Dachge­schoss führt er mich in den Garten. Weiß verschneit und märchen­haft liegt er da. „Siehst du´s?“ fragt er. Ich sehe es sofort. Unsere winzige Wasch­küche hat eine einzige Fenster­öff­nung. In deren Laibung waren die alten Steine lose, und teilweise waren sie auch schon heraus­ge­bro­chen. Mein Mann hatte Mörtel übrig, und auch Steine waren noch da. Und da hatte er sich im Licht eines Bauschein­wer­fers am Abend noch ans Mauern gemacht. Sogar die schräg stehenden Schmuck­steine hat er zurecht geflext und richtig einge­setzt. Und jetzt sieht es schön aus. Wirklich schön. Die Fugen, die Steine, alles. Und trotzdem bin ich traurig, dass unsere Zimmer nicht weiter gekommen sind, und gehe rüber zum Nachbarn, um Eier zu holen.

Unser Nachbar empfängt mich und weiß gleich Bescheid. Er weiß über vieles Bescheid, und hält nicht hinterm Berg damit. Er freut sich, dass jemand Eier holen kommt und wir ein bisschen reden können. Und weil er ein aufmerk­samer Mann ist, ist ihm nicht entgangen, dass die Fenster­lai­bung unserer Wasch­küche fertig ist. „Sieht gut aus“, sagt er. „Beschwer dir nich.“ „Ich beschwer mich doch gar nicht“, wehre ich mich verblüfft. „Doch“, weiß er es besser. Und das sei ja auch verständ­lich, dass ich mich beschwerte. Denn Frauen wollten es nun mal gemütlich und wohnlich haben, während Männer arbeiten wollten. Und zwar so, dass es am Ende der Arbeit ein Ergebnis gibt. Deshalb würden Männer zum Beispiel so ungern Staub wischen. „Aber wenn´s schwere und dreckige Arbeiten gibt: ´n Loch buddeln. Beton machen. Ne Mauer hoch ziehen. Dann ist der Mann sofort da.“ Danach sei er dreckig und fertig und glücklich. „Verstehe“, sage ich. Aber mein Nachbar meint, dass ich gar nichts verstehe. Nicht richtig jeden­falls. Aber er versteht es. Er habe bei uns das frisch gemauerte Fenster gesehen, und sofort war ihm klar: „Da baut ihr nun seit vier Jahren. Und immer hört sich dein Mann nur an, dass er nicht fertig ist. Weil man sieht: ein unfer­tiges Haus. Und von früh bis spät redet der außerdem noch auf seinen Laptop ein. Und was sieht man am Ende davon? Nichts.“ Ganz anders sei das mit dem Fenster unserer winzigen Wasch­küche. Das sei vielleicht – wenn man eine Aufstel­lung machte – diejenige Bauauf­gabe auf unserer Baustelle, die am aller­we­nigsten fertig werden muss. Aber man kriegt sie fertig. Und deshalb wäre sie – im Moment jeden­falls – eben auch sehr wichtig.

„Ok“, sage ich, weil ich es jetzt wirklich verstanden habe. „Ich geh jetzt rüber und lobe meinen Mann.“ „Mache mal“, nickt mein Nachbar. „Weil dit kann ja nich sein. Schuftet der die ganze Woche lang wie ´ne Hafen­nutte, und am Wochen­ende kommst du und beschwerst dir.“

Erschienen im Blog OderAma­zonas - 27. Januar 2021